Buch-Tipp: Johanna Hoppe – Von Kanonen und Spatzen

Johanna Hoppe – Von Kanonen und Spatzen
Triumph der Ökonomie

Der Umgang mit dem Filmerbe aus der Zeit des Nationalsozialismus ist ein nur selten rühmliches, aber vielleicht doch typisches Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Rund 1200 Spielfilme sind von 1933 bis 1945 entstanden, die zuerst von den Militärbehörden freigegeben werden mussten, ab 1949 dann von der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) in der Bundesrepublik. Rund 300 Filme hatten die Militärbehörden komplett verboten, doch wurden gerade im Lauf der Nachkriegsgeschichte immer mehr Titel liberalisiert. Seit 1966 liegen die Rechte am ehemaligen reichs­eigenen Filmvermögen bei der Murnau-Stiftung in Wiesbaden; sie hat »Vorbehaltsfilme« definiert, die nur mit einer fachkundigen Einführung und Diskussion gezeigt werden dürfen. Es dürften mittlerweile nicht mehr als 40 Titel unter Vorbehalt sein, darunter auch das schlimmste Propagandawerk der Nazis, Veit Harlans »Jud Süss« (1940). 

Das ist der Rahmen, den eigentlich jeder kennen müsste, der sich mit deutscher Filmgeschichte beschäftigt. Die Filmwissenschaftlerin Johanna Hoppe füllt ihn mit Fakten aus der Spruchpraxis der FSK wie auch der Murnau-Stiftung aus, die belegen, dass gerade in den ersten Jahrzehnten nach 1945 die Entscheidungen meist von handfesten merkantilen Interessen gelenkt waren. Man versuchte durchaus auch, Geld mit Nazi­kunst zu verdienen. Hoppes Recherchen im Bundesarchiv, in der Geschichte der FSK und der Murnau-Stiftung sind detail­reich, verzichten aber nicht auf einen grundsätzlichen Kommentar. Veit Harlan etwa machte 1956 Stoffrechte u. a. an »Der Herrscher« und dem Durchhalte­film »Kolberg« geltend – und erhielt in einem Vergleich 70.000 Mark. Leni Riefenstahl durfte weiterhin mit ihren »Olympia«-Filmen und vor allem auch dem Parteitagsfilm »Triumph des Willens« verdienen. Aber als Marta Feuchtwanger, die Witwe des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, auf dessen Roman Harlans »Jud Süss« frei fußte, im Jahr 1959 Urheberrechtsverletzungen beklagte und ein Verbot des Films forderte, wurden ihre Ansprüche als verjährt abgewiesen. 

Hoppes Buch entstand als Doktorarbeit an der Filmuniversität Babelsberg. Es ist mit wissenschaftlicher Akribie geschrieben – aber für jeden erhellend, weil sich im Umgang mit dem Nazifilmerbe auch ein Stück deutscher Nachkriegsfilmgeschichte spiegelt.

 

Johanna Hoppe: Von Kanonen und Spatzen. Die Diskursgeschichte der nach 1945 verbotenen NS-Filme. Schüren Verlag, Marburg 2021. 368 S., 34 €.

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